Milchbank in Niedernjesa
Abholhort des Grundnahrungsmittel bis Mitte des 20. Jahrhunderts
Milch ist ein Grundnahrungsmittel. In den Jahren nach dem 1. Weltkrieg war sie jedoch nicht sonderlich beliebt. Milch machte damals ein Fünftel der gesamten Landwirtschaftsproduktion aus. Aber sie wurde häufig mit Wasser und anderen Zusätzen gestreckt, um Einkünfte zu verbessern. Der 1926 gegründete “Reichsmilchausschuss“ beschloss daher Maßnahmen zur Milchkontrolle und eine groß angelegte Werbekampagne. Der Imagewandel, der damals erzeugt wurde, wirkt bis heute fort.
In Niedernjesa wurde bis in das neue Jahrtausend hinein Milch hergestellt. Am Ort der Milchbank wurde Mitte des 20. Jahrhunderts u. a. durch Herbert Maiwald die Milch abgeholt. Die bis zu 40 kg schweren Milchkannen wurden von der Milchbank auf den Trecker gezogen. Zu Spitzenzeiten kamen aus Niedernjesa und den umliegenden Orten 4.000 l – also gut 200 Kannen – pro Tag!
Einer der größten Produzenten war der Fettesche Hof. Herbert Mecke – Produktionsleiter in den 1960/70er Jahren – berichtete von 80 Kühen und einem beeindruckenden technischen Fortschritt bspw. mit Flächenkühlern zur Verbesserung der Haltbarkeit der Milch.
Wir danken den Spendern für die Milchkannen. Einige der Milchkannen sind Originale aus der Zeit der aktiven Nutzung der Milchbank. Andere Kannen haben eine wechselvolle Geschichte, wiederum andere haben lange Zeiten als Schirmständer wertvolle Dienste in Hauseingängen geliefert. Im Speziellen haben gespendet:
- Roswitha Aschmann
- Elke Berghäuser
- Bernd Schünemann
- Willi Kahle
- Niklas Rohrig
- Alexander Frey
- Wolfgang Pritzkow
- Marcel Bergmann
- Melanie Wiesenmüller
Milchabholung im Wandel der Zeit
Herbert Maiwald war von 1948-1960 Fahrer des Treckers mit 2 Anhängern, mit dem die Milch, zu der Zeit aus den Dörfern Niedernjesa, Obernjesa, Dramfeld, Mariengarten, Sieboldshausen und Reinshof, abgeholt wurde. Täglich mussten ca. 4.000 Liter Milch in 20 Liter Kannen auf- und abgeladen werden.
Die linke Aufnahme entstand etwa 1952 als Herbert Maiwald sein Haus in der Gartenstraße baute. Mit dem Bau dieses Hauses begann auch der Ausbau des Neubaugebietes Gartenstraße und Schweinemästerei. Auf dem Bild Herbert Maiwald und sein Beifahrer Otto Gottschalk aus Reinhausen.
Milchabholung 1992
1992 kommt einmal am Tag ein 12t Tankwagen in das Dorf. Er saugt aus ca. 150-200l großen Behältern auf gummibereiftem Fahrwerk die Milch ab. Gleichzeitig wird gemessen und somit festgestellt, wieviel der einzelne Erzeuger täglich abliefert. In Niedernjesa werden täglich etwas 1.300l Milch erzeugt, bei einem Kuhbestand von 70 Stück. Durchschnittspreis der Milch für den Bauern 0,65DM. 13 Tankwagen holten für die Göttinger Molkerei jeden Tag 350.000l Milch zusammen.
[Text nach Hans Ristau, Dorfchronik, 1992, Seite 35]
Warum das Image der Milch in den 1920er Jahren so schlecht war
Kleister, Kreide oder Seifenlösung: dies alles konnte man im 19. Jahrhundert in einem gekauften Liter Milch finden. Das Strecken mit Wasser war die harmloseste Methode, um Einkünfte aus der Milch zu verbessern. Vorschriften, die regelten, was in der Milch sein darf und was nicht, gab es noch nicht. Weil die Ansteckung mit Tuberkulose durch den Verzehr von Milch zu einer Gefahr für die Menschen wurde, entstanden es seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert allmählich Gesetze zur Hygiene, Tiergesundheit und zu den Inhaltsstoffen.
Nach dem I. Weltkrieg waren Nahrungsmittel besonders knapp. Hier wurde viel in die Milch gepanscht und gestreckt. Das Image der Milch litt. Vereinzelte Maßnahmen zur Regulierung der Versorgung mit Milch und Butter mündeten 1930 in die Ratifizierung des Reichsmilchgesetzes, das erstmals eine wirkliche Kontrolle der Milchproduktion und -verarbeitung ermöglichte. Es legte verbindliche Hygienevorschriften fest. Milchfälschungen und Verbrauchertäuschung, etwa durch das Zusetzen von Wasser, wurden unter Strafe gestellt. Außerdem konnte die Regierung nun Betriebe zur Produktionsverbesserung auflösen oder zusammenlegen. Heute ist Milch in Deutschland eines der am besten kontrollierten Nahrungsmittel.
[Text Dr. Dorothee Hemme]